„Ich sehe mich weder als Weissager noch als Virologe, ich bin ein einfacher Notarzt”

12 Oktober 2020

Entschlossen und ruhig folgt er der Bitte des Fotografen, nimmt den Hörer alle fünf Minuten ab, beantwortet die Fragen seines Kollegen, der dringend an seiner Tür klopft. Er benimmt sich gleicherweise bei ernsthaften Entscheidungen der einzelnen Patienten als auch in einigen Videos ggf. in Beiträgen, wenn er seine fachliche Meinung zum Ausdruck bringt. Ich könnte sogar sagen: er ist immer anwesend.

Diese unbestreitbare, charakterstarke, ausschlaggebende, ärztliche und menschliche Anwesenheit wurde mit der Sonderauszeichnung Szent-Györgyi Albert Helytállás prämiert, die Dr. Péter László Kanizsai, Universitätsdozent, Leiter des Lehrstuhls für Notfallmedizin des Klinischen Zentrums am 16. September als einer der engagiertesten in seinem Beruf übernommen hat und in dessen Leben, ich an einem verregneten Tag einen Einblick gewinnen konnte.

 

Ein Schreiben von Rita Schweier

 

- In einer solchen, ungewöhnlichen und beispiellosen Situation, in der wir zurzeit sind, wird eine Auszeichnung anders beurteilt und wird eventuell in der Lebensgeschichte anderswo verlagert. Sind Sie damit einverstanden?

- Ja, das stimmt. Ich habe zwar eine E-Mail erhalten, dass ich von jemandem für diese Auszeichnung nominiert wurde, aber dann habe ich sie unter der vielen E-Mails vergessen. Ich war ziemlich erstaunt als ich einen Anruf bekommen habe, dass ich gewonnen hatte. Für mich ist diese Auszeichnung besonders herzerfreuend, weil ich sie von einem professionellen Team bekommen habe, durch Abstimmung der Patienten. Das ist gelichzeitig eine positive Rückmeldung darüber, dass ich gute Arbeit leisten konnte und darüber auch, dass, wir auf dem richtigen Weg sind.

- Sie betonten, dass diese Position ohne Ihr Team nicht zu erreichen gewesen wäre. Dies weist darauf hin, dass Sie ein tolles Team haben.

- Die Notfallversorgung ist eine Teamleistung aber das gilt für andere Versorgungsarten auch. Das Zeitalter der Einzelkämpfer ist vorbei. In der Vergangenheit war auch nicht nur eine Person dabei aber vielleicht die Menschen um ihn herum standen weniger im Rampenlicht. Die Medizin des 21. Jahrhunderts zeichnet sich durch die Stärkung der Teamarbeit aus, und ich arbeite sehr gerne im Team. Obwohl dies keine kleine Herausforderung ist, weil wir in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich sind. Aber wenn ich sehe, dass meine Kollegen sich dessen bewusst sind, was als nächstes passieren wird, und entsprechend mit der größtmöglichen Natürlichkeit handeln, dann ist das wunderbar. Dies erweitert nicht nur meine Komfortzone, sondern verbessert auch das Sicherheitsgefühl des Patienten, was ein sehr wichtiger Aspekt der akuten Patientenversorgung ist.

- Ich kenne Sie, als jemanden, der ständig, kritisch schätzt, und das gilt sowohl für sich selbst als auch für Ihre Umgebung. Wie beurteilen Sie im Nachhinein Ihren Einsatz im Frühling?

- Wir wussten nicht wirklich, was uns erwartet, und wir wissen es sogar heute nicht. Es gibt ein Virus, das sich als sehr resistent herausstellt, es gibt keine Impfung dagegen, und es breitet sich wie ein Buschfeuer aus. Am Anfang wussten wir noch weniger darüber als jetzt. Es herrschte eine große Unsicherheit, obwohl sich daran heute nicht viel geändert hat, da 25 % der wissenschaftlichen Mitteilungen über COVID bereits zurückgezogen wurden. Auf jeden Fall haben wir ein System ausgebaut, das wir betreiben. Von Mitte März bis Ende des Monats hatten wir einen drastischen Rückgang der Fallzahlen, aber danach meldete sich eine Reihe von Patienten, die sich verschlechtert hatten, weil es keine fachärztliche Versorgung oder Aufnahme auf Stationen stattfand. Nach unserer Statistik ist der Patientenumsatz aus dem Vorjahr bereits ab April zurückgekehrt, und ab Mai ist dieser weiter gestiegen. Ich denke, wir haben gut gehandelt. Wir haben niemanden weggeschickt und wir haben die wichtigen Untersuchungen organisiert. Das war ein gutes Gefühl, meine Kollegen als Partner dabeizuhaben, und sie haben auch richtig und verantwortungsvoll nachgedacht.

- Sie spielten eine wichtige Rolle auch bei der Einrichtung und dem Betrieb des Versorgungszentrums für Coronaviruspatienten (KEK)

- Es gibt großen Respekt für die technischen Fachleute, die blitzschnell ein kleines Wunder in der Gestaltung des Zentrums durchgeführt haben. Die Schwierigkeit in dieser Zeit war darauf zurückzuführen, dass ein Teil meiner Mitarbeiter an das KEK umgeleitet werden musste, aber mein Kollege und Stellvertreter Dr. Ernő Bóna hat dies hervorragend gelöst. Damals war ich nicht wegen der Belastung überfordert, sondern wir standen psychisch unter Druck, da wir glaubten, dass Tausende von Patienten ankommen können. Wir setzten die Arbeit im Hintergrund fort und versuchten, diejenigen, die zu uns kamen so auszuwählen, dass die infizierten Patienten sofort ans KEK geschickt werden.

Heute hat sich die Situation durch die Einrichtung der neuen CT-Geräte und der neuen radiologischen Geräte stark verbessert, da wir nicht nur Monitore und Beatmungsgeräte erhalten haben, sondern das Klinische Zentrum hat auch ein intelligentes Gerät bekommen, das einen Schnelltest innerhalb von 70 Minuten machen kann. Der Nachteil ist, dass ein solcher Test sehr teuer ist, deswegen verwenden wir ihn nur für die Intensivstation. Aber es ist eine riesige Sache, dass es zur Verfügung steht, weil wir dank diesem Gerät, nicht 16 und 24 Stunden warten müssen, bis der PCR-Test abgeschlossen ist.

- Das Vorhandensein dieses Gerätes ist auch darum wichtig, weil nach dem Protokoll, ein jeder, der schwere Symptome entwickelt, zuerst zu Ihnen kommt.

- Ja, und er/sie wird erst danach ans Versorgungszentrum für Coronaviruspatienten kommen, wenn das notwendig ist. Es ist wichtig zu wissen, dass sich die Patienten nicht in der Notfallversorgung melden sollten, sondern an der CR-Abteilung der früheren Verbrennungschirurgie, die sich direkt neben dem Eingang des Rettungsdienstes befindet, separat. Dort arbeiten auch meine Kollegen nur neben anderen Vorsichtsmaßnahmen. Sie schleusen ein und behandeln Corona Verdächtige oder bestätigte positive Patienten. Unser Ziel ist es, diese Patienten so schnell wie möglich an KEK ankommen zu haben, wo Stationen eröffnet wurden, falls sie eine Unterbringung oder Intensivpflege benötigen. Wir heilen also keine Corona Virus-Patienten.

Die Behörde hat Szekszárd als regionales epidemiologisches Krankenhaus eingestuft, aber alle Kapazitäten sind endlich und logistisch ist es nicht immer möglich, für einen Patienten in ernstem Zustand dorthin zu gelangen. Es ist auch in dem Verfahren enthalten, dass der Patient nur dann auf eine andere Einheit übertragen werden kann, wenn er sich in einem transportablen Zustand befindet. Als Spitzenversorgungsstelle müssen wir bereit sein, Patienten nicht überall hin zu bringen. Wir treffen jede einzelne Entscheidung im besten Interesse der Patienten.

- Was genau passiert mit einem Patienten, der an Symptomen des Virus leidet und ankommt?

- Die Person mit Verdacht auf Covid geht durch ein Pre-Triage in der Notfallaufnahme- Triage bedeutet Behandlungspriorisierung- während der/die PatientIn ein Fragebogen nach dem geltenden Verfahren ausfüllen muss. Bestätigte Covid-Fälle, werden nicht in die Notaufnahme, sondern durch eine weitere sogenannte Umgehungsstraße in die COVID-Abteilung überführt. Hier wird ein Pre-Triage durchgeführt, finden die Untersuchung und Blutabnahme statt, er/sie wird zum Röntgen und CT-Scans geschickt und dann wird getestet, um das festzustellen, ob es wirklich um eine Infizierung geht. Falls der Verdacht bestätigt wird, übertragen wir den/die PatientIn an KEK sonst kann er/sie nach Hause gehen. Der Patient kann entweder vom Rettungsdienst oder einem Familienmitglied, das im selben Haushalt wo er lebt, aufgenommen werden, wobei letzterer natürlich sofort mit dem Patienten unter Quarantäne gestellt wird. Getestet werden Patienten, die in die Station kommen müssen, mit COVID Verdacht, aber keine COVID-Versorgung benötigen. Dazu gehören Patienten mit Schlaganfall, Herzinfarkt oder Magenblutung. Sie werden immer getestet, da sie nur mit einem negativen Ergebnis in der Station verlegt werden können. Sie bleiben bei uns, bis die Ergebnisse eintreffen. Für diejenigen, die auf der Intensivstation sind, verwenden wir den Schnelltest. Derzeit läuft ein Erweiterungsprozess zur Unterbringung wartender Patienten. Der Ort dafür wird die alte Notfallabteilung sein.

- Was tun sie, wenn der Patient dringend operiert werden muss, aber positiv getestet wurde?

- Auch darauf sind wir vorbereitet. Wir haben einen sogenannten COVID-Operationssaal in der COVID-Abteilung, der mit Schleusenlufttechnik ausgestattet ist. Meine Kollegen verkleiden sich und operieren am Patienten. Hier können sogar neurochirurgische Eingriffe durchgeführt werden. Praktisch kann in diesem Operationssaal alles gelöst werden. Wir haben sogar einen Kreißsaal für Schwangeren mit COVID.

- Man konnte ihren Aufruf lesen, dass Sie Freiwillige, Ärzte, Krankenschwester, Verwalter, Patientenbetreuer suchen, für die Zeit, wenn sich die Lage verschlechtern würde.

- Es ist ein typischer Notfall-Aspekt, um nicht dann zu fitzen, wenn ggf. fünf Krankenschwester ausfallen, weil sie die Krankheit haben. Wir müssen Personal haben, die die ausgefallenen ersetzen. Eben heute Morgen traf ich mich mit unseren Freiwilligen, die sich zum Glück in großer Zahl gemeldet haben. Sie sind meist Medizinstudenten, aber einige von ihnen sind absolvierte Studenten. Nach zwei oder drei Sitzungen nach dem Training können wir mit ihnen arbeiten. Sie werden vor allem als Aushilfe in der Pflege eingesetzt. Die größte und angenehmste Überraschung für mich war, dass Freiwillige aus dem Frühjahrskontingent, die schon genau wissen, was zu tun ist, zurückkamen. Ich werde um ihre Hilfe sowohl in der Ausbildung als auch in der Verwaltung bitten. Es fühlt sich wirklich gut an, diese begeisterten jungen Leute wieder hier sehen zu können.

- Seit dem Ausbruch der Epidemie wurden mit Ihnen mehrere Informationsvideos gedreht und Sie halten es für wichtig, Menschen an vielen Orten, Foren, sowohl in Rolle des Professionellen als auch als Privatperson zu informieren. Ist das Teil der Aufgabe, eine Art moralischer Verpflichtung?

Ich sehe mich weder als Weissager noch als Virologe. Ich bin ein einfacher Notarzt. Unser Beruf ist nicht sehr kompliziert, weil wir keine hirnchirurgischen Eingriffe durchführen. Für uns ist wichtig, dass der Patient einen Atemweg hat, sein Herz schlägt, sein Nervensystem funktioniert, darf nicht unterkühlen– wir konzentrieren uns auf solchen einfachen Dingen, wie diese.  Außerdem halte ich es für meine Aufgabe und Pflicht, meine Stimme zu erheben. Im Englischen wird es „public notification” genannt. Das ist die präventive Rolle der Notfallmedizin, egal wie merkwürdig es ist.

Die Benennung Notfall ist ein sehr schlechter Begriff, weil es nur für diejenige eine Not ist, von einem Arzt angeschaut zu werden, die sich unwohl fühlen. Ich bin mir sicher, wenn jemand mit einem geschnittenen Finger zu uns kommt, wird sicherlich nicht versorgt, außer wenn sein Finger schwärt. Viele Leute sind unwürdig wegen unserer Benennung, und natürlich haben sie Recht, aber das ist es, was unsere Abteilung auf der ganzen Welt genannt wird.

Notfallmedizin hat tatsächlich eine präventive Rolle, ein Plakat über Schlaganfall, sowie eine Diashow oder ein gesprochenes Wort. Ich halte es für wichtig, die Menschen zu informieren, nicht nur die Mitglieder meiner Familie oder meine Freunde. Ich mag kurz und bündig in diesen Nachrichten über die Notwendigkeit der Maskenpflicht, des sozialen Abstandes, Händewaschen sprechen, und alle darauf aufmerksam machen, an den Virusleugnern nicht glauben zu dürfen.

- Es ist alles relevant, denn wir sind in der Mitte des Herbstes, bald kommen die Patienten mit Atemwegserkrankungen an und noch die, die an Grippe leiden.

-  Zudem ähneln die Symptomen einer klassischen Grippe denen des Corona-Virus obwohl der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns im ersten Fall nicht so ausdrucksstark ist, trotzdem ist er immer noch vorhanden. Ich erwarte einen großen Durchbruch von dem Gerät, das wir wahrscheinlich in der näheren Zukunft beschaffen können. Es ist ein einfaches PCR-Gerät, das innerhalb von 20 Minuten unter Influenza A, B und SARS-CoV-2 differenzieren kann. Das Zulieferunternehmen hat noch nicht genügend Reagenzien, aber wir freuen uns darauf und hoffen, dass wir es bis Dezember bekommen können. Dieses Gerät wird es uns viel einfacher machen. Eins davon ist bereits in Budapest in Betrieb, und es ist geplant, in allen Notaufnahmen aller Universitäten zur Verfügung zu stelle.

Wurden Sie schon einmal getestet?

- Ja, mehrmals, und zum Glück waren alle meine Tests bisher negativ. Das einzige warum ich Angst habe infiziert zu werden ist, dass ich dann am Arbeitsplatz ausfallen würde, jedoch ich bin hier benötigt, ganz zu schweigen davon, dass niemand gerne in Quarantäne ist.

Es wurde auch eine Reihe von Mitteilungen veröffentlicht, dass die soziale Isolation selbst eine unabhängige Todesursache in solchen Pandemiefällen ist. Die Zahl des Selbstmordes wird höher sein, und bestimmte Krankheiten werden beim Menschen übermächtig sein.

- In solchen Situationen zeigt sich, wer, was für ein Leiter ist und wie man seine Kollegen trotz der Schwierigkeiten motivieren kann.

- Glücklicherweise sind meine Kollegen intelligente Menschen und verstehen das Wort. Es ist sehr wichtig, dass wir die richtige Menge an Ausrüstung haben: Masken, Plastikschürzen, Jumpsuits, wenn wir unter die Coronavirus-Patienten gehen müssen. Für meine Kollegen wäre es eine Motivation, wenn sie eine umfassende Vorstellung über die Zukunft hätten: was kommt, wenn dies vorbei ist, werden wir so viel Unterstützung bekommen wie jetzt, und ob die Menschen verstehen werden, was die Rolle der Notaufnahme ist. Es gibt keinen Tag, an dem einer/eine nicht hereinkommen würde und sagt, er/sie wolle eine CT-Untersuchung haben, weil er gehört hat, dass wir hier in der Unfallstation alles an einem Tag haben. Sie sind schwer zu handhaben.

Ich kann meine Kollegen motivieren, indem ich unter ihnen bin und meine Arbeit leiste, während ich gleichzeitig versuche, zu kommunizieren, ohne jemanden zu verletzen. Wenn jemand einen Fehler macht, wird ihm keine Rüge erteilt, gekündigt und beleidigt, sondern ich versuchen davon zu lernen, da dadurch ich eine Rückmeldung bekomme, wo wir noch verbessern müssen.

- Während der Frühlingszeit konnte man auch sehen, wie sehr die Menschen Sie lieben. Sie bekamen viel Unterstützung von den Menschen, öfters leckere Snacks, die Ihnen Kraft und Motivation zum Kampf hätte geben können.

- Das bedeutete uns wirklich viel. Leider haben sich die Stimmen der Virusleugner inzwischen verstärkt, was sich -wie in Ungarn üblich - in extremen Besserwisserei und Hass manifestiert, und das tut mir sehr leid. Ich will nicht darauf eingehen, ich diskutiere nicht. Manchmal ist ein Leiter gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten, damit er, seine Kollegen schützen kann, leider ist dies in letzter Zeit auch geschehen.

- Alle fünf Minuten klingelt Ihr Telefon, Sie bekommen E-Mails, wird an Ihrer Tür geklopft– wie können Sie in unserem Gespräch ruhig zu Ihrem letzten Satz zurückkehren und Ihre Gelassenheit bewahren?

- So bin ich gestaltet. Ich mag die Herausforderungen, ich kann unter dem Druck der Aufgaben gut umgehen, und ich bin ein hoffnungsvoller Typ. Ich wache jeden Morgen damit auf, dass auch dieser Tag etwas mitbringen kann. Ich glaube daran, dass das Leben schön ist, und diese Schönheiten können in den kleinen Dingen gefunden werden. Wenn alles schiefgeht, denke ich daran, dass ich drei gesunden Söhne habe. Sie sind die Gegenwart und die Zukunft, und sie sind es wert, zu kämpfen. Es war mein Vater, der seinen Job ohne ein Wort gemacht hat, es scheint einen Erben zu sein. Wenn es eine Aufgabe gibt, muss sie erledigt werden, und erst danach kann man sich entspannen. Solange es noch zu tun gibt, ist das die erste.

 
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