Weder selbstfahrende Autos noch allwissende KI-Diagnostiker – Radiologen müssen sich noch keine neuen Jobs suchen

6 November 2025

Obwohl renommierte KI-Experten bereits seit fast einem Jahrzehnt davon ausgehen, dass Radiologen bald nicht nötig sein werden, ist die Medizinbranche heute eher von Personalmangel als von künstlicher Intelligenz bedroht, sagt Prof. Dr. Péter Bogner, Radiologe und wichtiger Vertreter der Technologie in Ungarn. Anlässlich des Internationalen Tages der Radiologie sprachen wir mit dem Universitätsprofessor über die Rolle der KI in der Bilddiagnostik und deren Grenzen. Anlässlich des Internationalen Tages der Radiologie sprachen wir mit dem Universitätsprofessor der Universität Pécs über die Rolle der KI in der bildgebenden Diagnostik und deren Grenzen.

Verfasst von Miklós Stemler

Der als Pate der künstlichen Intelligenz (KI) bezeichnete Nobelpreisträger Geoffrey Hinton erklärte 2016, dass dank der neuen Technologie die Ausbildung von Fachärzt*innen für Radiologie überflüssig werde, da künstliche Intelligenz innerhalb von fünf Jahren die Bilddiagnostik auf einem höheren Niveau als Menschen durchführen werde. Die fünf Jahre sind längst vorbei, doch statt arbeitsloser Radiolog*innen herrscht weltweit ein Arbeitskräftemangel in diesem Fachgebiet, den KI-basierte Entwicklungen und Lösungen nur teilweise beheben können.

– Ich zeige meinen Student*innen normalerweise ein Meme, das aus drei Fotos besteht. Auf dem ersten Bild ist Elon Musks Vorhersage aus dem Jahr 2015 zu sehen, dass er bis 2018 vollständig selbstfahrende Autos herstellen wird. Auf dem zweiten Bild ist Geoffrey Hintons Aussage aus dem Jahr 2016 über das Verschwinden der Radiologen zu sehen, und auf dem dritten Bild ist ein Stau mit dem aktuellen Datum zu sehen, der die Radiologen darstellt, die morgens ohne selbstfahrende Autos zur Arbeit fahren müssen – Péter Bogner vermittelt damit ein anschauliches Bild davon, wie sich die Vorhersagen berühmter Persönlichkeiten Realität wurden.                                       

Der ehemalige Direktor der Klinik für Medizinische Bildgebungsklinik der Universität Pécs und gleichzeitig Vorstandsmitglied der Ungarischen Gesellschaft für Radiologie kann kaum der Voreingenommenheit gegenüber KI bezichtigt werden, da er eine Schlüsselrolle bei der KI-basierten Reform der Schlaganfalldiagnostik und -behandlung in Ungarn gespielt hat. Die 2018 von dem Professor und seinen Kollegen entwickelte Methode kombinierte die Vorteile der Teleradiologie mit der durch künstliche Intelligenz unterstützten Diagnostik.

„Der Schlaganfall ist eine der Erkrankungen, bei denen KI sehr effektiv eingesetzt werden kann. Damit der Patient so schnell wie möglich die richtige Behandlung erhält, ist eine Schädel-CT-Untersuchung unerlässlich, mit der der betroffene Hirnbereich bestimmt und festgestellt werden kann, ob eine Katheterbehandlung zur Beseitigung der Gefäßverstopfung möglich ist. Hier kommt der mit einer riesigen Anzahl von CT-Aufnahmen trainierte Algorithmus der künstlichen Intelligenz ins Spiel, der dies blitzschnell und mit hoher Zuverlässigkeit leisten kann, erklärt er.

Allerdings muss man aber auch Zugang zu der Technologie haben, was vor allem in Ungarn mit erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen verbunden ist. Die von der Klinik für Nervenchirurgie, der Klinik für Neurologie, der Klinik für medizinische Bildgebung und dem Diagnostischen Zentrum in Pécs entwickelte Lösung ist ein AI-basiertes Diagnosenetzwerk, das die gesamte Region Süd-Transdanubien abdeckt Diese auf internationaler Ebene einzigartige Initiative wurde 2022 durch das damalige Nationale Institut für Psychiatrie, Neurologie und Neurochirurgie auf nationaler Ebene ausgeweitet. All dies ist eine echte Erfolgsgeschichte, die jedoch neben den Stärken der KI-gestützten Diagnostik auch deren Grenzen aufzeigt.

– Künstliche Intelligenz leistet besonders gute Dienste bei bestimmten Krankheitsbildern wie Schlaganfall, Lungenkrebs, Lungenembolie, Knochenbrüchen sowie bei Mammographie Untersuchungen, ist jedoch nicht für die Erstellung umfassender Befunde geeignet. Bei einer Schädel-MRT müssen zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden, während die KI nur Antworten auf einzelne Fragen liefern kann. All dies hat zudem einen hohen Preis, da für die Erkennung verschiedener Krankheitsbilder meist unterschiedliche Programme erforderlich sind, die zu hohen Kosten erworben werden müssen. All dies stellt auch für die Gesundheitssysteme der reicheren Länder eine erhebliche Belastung dar und behindert die Verbreitung der Technologie erheblich. Immer mehr Menschen sagen, dass sich der Einsatz von KI im Arbeitsalltag einfach nicht lohnt, erklärt der Experte die praktischen Probleme.

Die Schwierigkeiten sieht man deutlich, wenn man bedenkt, dass Bayer, eines der weltweit größten Unternehmen der Gesundheitsbranche, im September die Einstellung seiner radiologischen Plattform bekannt gab, die verschiedene KI-Diagnoselösungen integrierte. In Anlehnung an große Sprachmodelle, bei denen ChatGPT und Konsorten bereits das gesamte menschliche Wissen – oder zumindest die Illusion davon – bieten, könnte eine mögliche Lösung ein universelles, „denkendes” Modell sein, das mit einer riesigen Anzahl medizinischer Bildaufnahmen trainiert wurde, was jedoch derzeit kaum realisierbar erscheint.

– Systeme, die auf großen Sprachmodellen basieren, benötigen enorme Ressourcen, obwohl sie „nur” Buchstaben, Wörter und Sätze analysieren und nicht viel komplexere radiologische Aufnahmen. Da bereits bei den aktuellen generativen Modellen die Rechenleistung und der dafür erforderliche Energiebedarf immer größere Schwierigkeiten bereiten, sehe ich nicht wirklich, wie all dies realisiert werden könnte. Außerdem können auch hier Entstellungen auftreten, die bis heute ein ständiges Problem bei Chatbots darstellen, da es sehr wohl eine Rolle spielt, aus welchem Teil der Welt die Aufnahmen stammen, mit denen die Modelle trainiert werden. Bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind oft unterschiedliche Krankheitsbilder charakteristisch, sodass beispielsweise ein in China entwickeltes Programm nicht unbedingt in Europa einsetzbar ist und umgekehrt. Und dabei haben wir noch gar nicht über die seltenen Krankheiten gesprochen, bei denen es schon ein großes Problem ist, genügend Aufnahmen für die Ausbildung zu sammeln, zählt Péter Bogner die zu lösenden Aufgaben auf.

Darüber hinaus kann künstliche Intelligenz zwar in bestimmten Teilaufgaben Radiologen übertreffen, neigt jedoch bis heute dazu, unverständliche und sogar lebensgefährliche Fehler zu begehen.

– Bei der Vorbereitung einer Präsentation habe ich Bilderkennungsalgorithmen anhand eines Fotos unseres Hundes getestet, die prozentual bewerteten, um welche Hunderasse es sich auf dem Bild handelt. Es handelte sich um einen Bichon, und obwohl dieser immer unter den ersten drei Treffern war, hat diese Rasse in vielen Fällen nicht „gewonnen”. Dieser Versuch war zweifellos gut, um viele neue Hunderassen kennenzulernen, aber eine CT- oder MRT-Aufnahme ist nicht „hundeinfach”. Außerdem steht sie nicht für sich allein: Es gibt eine Überweisung dazu, und der Patient hat eine Krankengeschichte, die der Radiologe zusammen mit dem Gesehenen analysieren muss. Dafür reicht ein einfaches Bilderkennungsprogramm nicht aus, und obwohl es natürlich Versuche gibt, komplexe Interpretations- und Entscheidungsprozesse zu programmieren, die zu einer Diagnose führen, ist der Durchbruch noch nicht in Sicht, schätzt Péter Bogner.

Radiologen werden also auch in absehbarer Zukunft benötigt werden, und zwar sogar noch mehr als derzeit, da in den letzten Jahren weltweit die Zahl der bildgebenden Untersuchungen – vor allem CT-Untersuchungen – drastisch gestiegen ist, da diese über die Diagnose hinaus auch eine immer wichtigere Rolle bei der Überwachung von Therapien spielen. Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, den daraus resultierenden gravierenden Personalmangel und die Überlastung zu beheben.

– Radiologische Befunde erstellen wir beispielsweise mit einem KI-basierten Spracherkennungsprogramm, und große Sprachmodelle sind bereits in der Lage, die freie Wortauswertung in eine strukturierte Form zu bringen. Es gibt bereits Lösungen, die den Ausfall einer kritischen Komponente in CT- und MR-Geräten vorhersagen, sodass diese ohne Betriebsausfall ausgetauscht werden können. Zu den wichtigen Entwicklungen der letzten Jahre gehören auch Algorithmen, die die typischerweise lange Erstellungszeit von MR-Aufnahmen verkürzen. Diese sind eine große Hilfe bei unserer täglichen Arbeit, aber sie können und werden Radiolog*innen nicht ersetzen, fasst Péter Bogner zusammen.

Ähnlich sieht dies nun auch Geoffrey Hinton, der 2024 den Nobelpreis für Physik erhielt: Im Mai dieses Jahres sprach er nicht vom Verschwinden der Radiolog*innen, sondern von KI-Lösungen, die ihre Arbeit ergänzen und effizienter und genauer machen. Von dieser Zukunftsvision würden zweifellos sowohl Patienten als auch Ärzte profitieren, sofern sie umgesetzt wird.

Fotos:

Dávid Verébi, Szabolcs Csortos