„Pécs vermisse ich wirklich!“ – Interview mit Miert Lindboe, dem Chefarzt von Oslo

27 April 2022

Miert Lindboe wollte eigentlich Schauspieler werden, ging aber stattdessen in ein fernes Land und eine ferne Stadt, um Medizin zu studieren. Jetzt ist er der Chefarzt von Oslo und unter anderem für die Verteidigung der Stadt gegen die Pandemie verantwortlich, die als eine der besten der Welt gilt. Wir haben mit Miert über seine prägenden Jahre in Pécs und seine ziemlich schwierige Arbeit gesprochen.

 

Verfasst von Miklós Stemler

 

Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie um 2010 in Pécs Medizin studiert. Aber fangen wir ein wenig früher an; warum hast du dich für den Arztberuf entschieden und wie bist du hier angekommen, mehrere Tausende Kilometer von deiner Heimat entfernt.

Eigentlich hatte ich als Teenager andere Pläne: Ich wollte Schauspieler werden. Ich ging auf eine Schauspielschule, aber nach meinem Abschluss ging ich zum Militär – in Norwegen gibt es noch die Wehrpflicht. Ich habe auf einem Schiff unter dem Schiffsarzt gedient und mir war klar, dass ich auch Arzt werden möchte.

Das einzige Problem war, dass ich die notwendigen Fächer wie Biologie und Chemie noch nicht hatte, also musste ich diese Prüfungen nachholen. Mein neues Gymnasium hatte Beziehung mit Ungarn, also gab es für mich die Möglichkeit, hier zu studieren – aber in Budapest, nicht in Pécs. Ich habe in meinem zweiten Jahr nach Pécs gewechselt. Es war ein Zufall: Ich kannte einige norwegische Studenten, die hier studierten, und besuchte die Stadt auch ein paar Mal, weil ich Mitglied einer Studentenorganisation war.

Was waren deine ersten Gedanken und Erfahrungen, als Du erfahren hast, dass Du in Ungarn studieren wirst? Schließlich ist es sehr weit weg von Norwegen.

Um ehrlich zu sein, wusste ich nichts über Ungarn und das war meine erste Reise ins Land, als ich hierher gezogen bin. Ich musste nach meiner Ankunft eine Wohnung suchen und die grundlegenden Dinge herausfinden, z. B. wo ist die Universität, an der ich studieren werde. Es war eine seltsame Erfahrung, um es milde auszudrücken. Aber es ist sehr gut geworden, ich bin wirklich froh, dass ich all die Universitätsjahre in Ungarn verbracht habe. Ich bedauere nur eines: Ich habe es nie geschafft, die ungarische Sprache richtig zu erlernen. Ich habe eine Ungarisch-unterricht besucht, aber die Sprache außerhalb des Unterrichts nicht wirklich geübt, weil meine ungarischen Freunde eher Englisch mit mir gesprochen haben – zwei von ihnen haben sogar Norwegisch erlernt.

Du hast erwähnt, dass du dein erstes Studienjahr in Budapest verbracht hast, aber dann hast du Dich in das viel kleinere Pécs gezogen und bis zu Deinem Abschluss hier geblieben. Was denkst du als ausländischer Student, was sind die Hauptunterschiede zwischen Pécs und Budapest als ausländischer Student?

Die Studentengemeinde ist in Budapest viel isolierter. Obwohl du natürlich durch die Stadt reist, ist es aber so als ob du davon isoliert wärest. Einiges davon trifft natürlich auch auf Pécs zu, aber man ist in die Stadt integriert. Vielleicht ist dein Nachbar jemand, der an der Universität arbeitet, oder eine Krankenschwester, die im Krankenhaus arbeitet. Man fühlt sich mehr in die Gemeinschaft integriert.

Ich war aber ein seltsamer Fall: Die meisten meiner Kommilitonen sind von Pécs nach Budapest gefahren, und es stimmt natürlich, dass es in der Hauptstadt mehr Restaurants, kulturelle Angebote gibt und auch der Flughafen ganz in der Nähe ist. Aber wenn man als ausländischer Student einsam ist und sich isoliert fühlt, und weit weg von dem Zuhause ist, dann passiert es manchmal, dass wenn man in Pécs ausgeht früher oder später einige Bekannten trifft. Wenn man in einer großen Stadt wie Budapest einsam ist, fühlt man sich wirklich einsam, obwohl es Millionen von Menschen um dich herum gibt, hat niemand Zeit für dich. Also insgesamt habe ich Pécs viel mehr bevorzugt.

Du hast während des Projekts „Kulturhauptstadt Europas“ in einer sehr interessanten Zeit in Pécs gelebt und studiert. Es gab spektakuläre Entwicklungen in der Stadt und viele Programme. Welche Erinnerungen hast Du aus diesen Jahren?

Für uns war die neue Bibliothek die größte Entwicklung. Vor der neuen Bibliothek lebten wir praktisch zwischen der Medizinischen Fakultät und dem Széchenyi-Platz, also bedeutete die Eröffnung des Wissenszentrums auch, dass es sich uns ein neuer Teil der Stadt öffnete. Die alte Universitätsbibliothek in der Nähe des Széchenyi-Platzes hat mir sehr gut gefallen. Es war sehr traditionell und man spürte dort die Präsenz der Geschichte und dieses historische Gefühl ist eines meiner Lieblingsdinge an Pécs. Aber manchmal ist es schön, an einem modernen Tisch zu studieren und eine Klimaanlage zu haben (lacht).

Mir scheint es so, dass Du hast dich wirklich für die Kultur von Pécs und Ungarn interessiert. Was denkst Du, ist das unter den ausländischen Studenten üblich?

Viele von ihnen interessieren sich nur für ihren Abschluss, aber es ist sehr schwierig, sie zu kategorisieren. Einige meiner Kommilitonen haben es geschafft, die Sprache zu lernen und manche sprechen sie sehr gut. Wie ich bereits sagte, habe ich auch versucht, es zu lernen, aber später habe ich festgestellt, dass es für mich einfacher ist, über die Geschichte von Ungarn und Pécs zu lesen.

Ich habe dort so lange gelebt, dass es sich für mich wie ein Zuhause anfühlte, und ich fühlte mich verpflichtet, mehr über die Geschichte meiner zweiten Heimat zu erfahren. Interessant war für mich, dass ich nach einer Weile mehr über die Geschichte der Stadt und des Landes wusste als einige meiner ungarischen Freunde.

Natürlich ist es in Norwegen genauso: Wir lernen Teile unserer Geschichte kennen und neigen dazu, die Mythen mit den tatsächlichen historischen Ereignissen zu mischen. Ich fand die ungarische Geschichte erstaunlich und kompliziert.

Du hast auch als Repräsentant und später als Führungskraft in der Studentengemeinschaft der norwegischen Studenten eine aktive Rolle gespielt, habe ich recht?

Ja. Zuerst war ich Mitglied der ANSA (Verband norwegischer Studenten im Ausland), und später trat ich der Studentenschaft der Norwegischen Ärztekammer bei. Es hat fünf Untergruppen: eine für jede medizinische Universität und Norwegen und eine für alle Studenten, die im Ausland studieren. In meinem letzten Jahr war ich Leiter dieser letzten Untergruppe. Ich habe auch mit der ungarischen Niederlassung der Internationaler Verband der Medizinstudentenvereinigungen zusammengearbeitet.

Deine aktive Rolle in der Gemeinschaft ist für mich interessant, weil Du dich nach Deinem Abschluss für die Karriere im öffentlichen Gesundheitswesen entschieden hast. Es ist fair zu sagen, dass Du ein Interesse an der Rolle der Medizin für das Gemeinwohl hast. Hast Du dieses Interesse an der Medizinischen Fakultät in Pécs erworben?

Es ist definitiv in Pécs passiert, ich habe meine Abschlussarbeit über öffentliche Gesundheitswesen und die pharmazeutische Industrie geschrieben. Ich habe in meinem sechsten Studienjahr ein Stellenangebot von einer Organisation in der Schweiz bekommen, um den Gesundheitsaspekt der Einwanderung zu studieren. Es war ein verlockendes Angebot, aber dann wurde mir klar, dass ich keine klinische Erfahrung hätte, wenn ich den Job annehmen würde, und deshalb habe ich mich in erster Linie für die Medizin entschieden, weil ich unbedingt den Menschen helfen wollte. Also habe ich angefangen, in einem Krankenhaus zu arbeiten und wurde später Hausarzt. 2020 wechselte ich ins öffentliche Gesundheitswesen und wurde dann Chefarzt von Oslo. Im Moment bin ich auch für die Reaktion der öffentlichen Gesundheitswesen auf die Pandemie verantwortlich. Meine Karriere hat sich also in den letzten zwei Jahren wirklich verändert.

Es muss ein wirklich großer und wirklich stressiger Job sein, schließlich bist Du während einer schweren Pandemie für die öffentliche Gesundheitswesen von 700.000 Menschen verantwortlich. Wie kannst Du es verwalten?

Nun, zum Glück bin ich nicht geschieden (lacht). Ich habe auch zwei kleine Kinder, eines davon wurde kurz vor der Pandemie geboren. Irgendwie hat meine Frau akzeptiert, dass ich diesen Job angenommen habe, natürlich werde ich es ihr irgendwann wieder gutmachen müssen. Natürlich war es viel Arbeit, ich habe im letzten Jahr rund um die Uhr gearbeitet und hatte in den letzten 2 Jahren keinen richtigen Urlaub, nur ein paar Tage Ruhe. Aber auf der anderen Seite ist dies eine sehr sinnvolle Arbeit, sie hat einen echten Einfluss auf das Leben der Menschen. Die Reaktion auf die Pandemie in Oslo wird als eine der besten der Welt eingestuft, und das Wissen, dass man etwas Nützliches tut, ist wirklich anregend. Trotzdem freute ich mich sehr auf den Ausklang der Pandemie und darauf, etwas Zeit zum Nachdenken und Ausruhen zu haben, aber dann kam der schreckliche russisch-ukrainische Krieg und damit die Flüchtlingskrise. So scheint es, dass ich noch etwas länger auf die faulen Sommertage warten muss, aber in schwierigen Situationen wie diesen muss man eingreifen und helfen, wenn man die Gelegenheit dazu hat, und ich habe das Glück, sie zu haben.

Natürlich hattest Du in den letzten Jahren keine Gelegenheit, Pécs zu besuchen. Hast Du es vor, und hattest Du die Stadt vor der Pandemie besucht?

Leider hatte ich seit meinem Abschluss keine Gelegenheit dazu. Ich habe eine dänische Frau und wir haben uns in meinem vierten Studienjahr kennengelernt, also haben wir die Sommer zusammen in Pécs verbracht. Nach meinem Abschluss zogen wir nach Bergen, wo keiner von uns Familien hatte, also nutzten wir die Ferien, um sie zu besuchen. Und natürlich wollte sie mal was anderes sehen als Pécs, wo sie drei Urlaube verbracht hat. Wir fingen an mit meinen ehemaligen Kommilitonen, ein Treffen zu planen, aber es war sehr schwierig, sie zu organisieren, und dann kam die Pandemie. Wir versuchen jetzt seit drei Jahren, nach Pécs zurückzukehren, und vielleicht können wir jetzt, wo die meisten von uns etwas größere Kinder haben, ohne unsere Frau gehen und uns für ein paar Tage wie junge Studenten benehmen (lacht). Aber ich vermisse die Stadt sehr.

Ein Student in Pécs zu sein, war ein wirklich wichtiger Teil meines Lebens. Natürlich waren das sehr schwierige Jahre, wir mussten viel lernen, und es war niederschmetternd, eine Prüfung nicht zu bestehen, aber die Freude war auch beispiellos, wenn wir erfolgreich waren. Es war eine Achterbahn der Gefühle. Ich weiß, dass es die Studenten in Norwegen nicht so schwer haben, was natürlich seine Vorteile hat, aber im Nachhinein hat uns die strenge Ordnung in Pécs geholfen, uns mehr für das Thema zu engagieren und bessere Ärztinnen und Ärzten zu werden. In Ungarn wird man zum Arzt geformt. Einige mögen sagen, dass dies ein Ansatz der alten Schule ist, aber ich mag es, wenn es nicht nur zu einem Arzt geformt wird, sondern eher dazu erzogen.

Ich kann mir vorstellen, dass diese Erfahrung eine starke Bindung zwischen den Studenten schafft. Diese Beziehung ist noch heute auch aktiv?

Ja. Natürlich leben die meisten von uns in verschiedenen Städten und einige meiner Kommilitonen leben in Schweden. Wir arbeiten auch viel und die meisten von uns haben Kinder, aber wir reden jede Woche miteinander.

Hast Du einige sehr einprägsame Erlebnisse in Pécs, woran Du bis heute erinnern kannst?

Nun, hauptsächlich erinnere ich mich, dass ich mich nach einer erfolgreichen Prüfung großartig fühlte, irgendwo saß und einfach nur Spaß hatte. Es gab eine lustige Episode nach meiner Abschlussprüfung, als ich mit alles fertig war. Meine zukünftige Frau und ich aßen zu Mittag und beschlossen, dass es bis zur Abschlussfeier noch etwas Zeit gibt, und wir sollten mit einem Mietwagen nach Kroatien in den Urlaub zu gehen. Damals sprach ich ein wenig Ungarisch, also sagte der Chef der Autovermietung zu mir: „Sie sprechen sehr gut Ungarisch. Sind Sie Medizinstudent?“ "Nein", sagte ich zu ihm, "ich bin Arzt." "Seit wann?" "Seit 45 Minuten!" (lacht). Es gab auch Zeiten, in denen mein Name einige Leute verwirrte – ich denke, Sie können sich denken, warum – und ich es erklären musste.

Generell erinnere ich mich an die tollen Nachbarn, die wir hatten, und die Weinfeste, die leckere Schweine- und Lammbraten: nach den Bibliothekszeiten gingen wir immer dorthin. Ich erinnere mich an unseren Lieblingsplatz, Blöff. Manchmal gingen wir nur auf einen Drink und einen Kaffee dorthin, und wenn wir zu angestrengt lernten, gab uns der Barkeeper gewöhnlich einen Schuss Pálinka, um uns zu entspannen.

Aber insgesamt ist es meine schönste Erfahrung, Teil einer riesigen Gruppe zu sein, die sehr hart für den Erfolg arbeitet, und dann die Freude über unseren Erfolg. Jetzt hast du mich dazu gebracht, Pécs wirklich zu vermissen! (lacht) Eines ist sicher: Ungarn wird immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben.

Fotos:

Facebook/Politiker Miert Skjoldborg Lindboe

Dávid Verébi/UP MS