Von der Faustregel zur Erweiterten Realität Reality: Revolution in der Chirurgie

1 Juni 2021

Rekonstruktion der Herzkammer und der Trachea, Brust- und Schädelkorrektur, Entfernung von schwer zugänglichen Tumoren: Mit der Entwicklung von 3D-Druck und -Design und Dank engagierten Fachleuten mit sowohl medizinischer als auch ingenieurtechnischer Affinität werden immer mehr Operationen kürzer und kostengünstiger, und vor allem sicherer. Wie kommt die 3D-Technologie in den Operationssaal und wie verändert sie die chirurgische Routine schon heute?

 

Verfasst von Miklós Stemmler

 

Obwohl sich die chirurgischen Verfahren in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt haben, ist auch heute noch der menschliche Faktor – das Können, die Erfahrung, das Kaltblut der Chirurgen – entscheidend. All dies kann einerseits zu wahren Meisterstücken führen und ist in dringenden Fällen (z. B. lebensrettenden Operationen nach einem Unfall) unverzichtbar und andererseits eine Quelle des Verfehlens. Die neuesten technologischen Möglichkeiten können dabei helfen, und hier müssen wir nicht unbedingt an sehr teure Operationsroboten denken, die vorerst eher in Science-Fiction-Filme passen würden, weil die stille Revolution durch 3D-Simulationstechnologie und Druck in den Operationssälen bereits auf hohem Niveau läuft. Mit einem Experten des Themas, mit Dr. Balázs Gasz haben wir die Antwort auf die Frage gesucht, wo sich 3D-Technologie und Chirurgie treffen und warum sie wichtig für uns sind.

Für die meisten Menschen ist eine Karriere in der Herzchirurgie wahrscheinlich genug, es wäre sogar zu viel. Aber für Dr. Balázs Gasz, außerordentlicher Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Pécs im Chirurgischen Lehr- und Forschungsinstitut, und gleichzeitig biotechnologischer 3D-Designer im 3D Zentrum der Universität Pécs, war es jedoch nur der erste Schritt. Der junge Arzt und 3D-Designer hat in den letzten Jahren zusammen mit Kollegen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheits- und Ingenieurwesens eine Reihe von chirurgischen Verfahren entwickelt und angewendet. Aber ebenso wichtig sind die neue Herangehensweise und Arbeitsweise, die eine Schlüsselrolle in der Chirurgie der nahen Zukunft spielen können.

Der Faustregel hinüber

„Grundsätzlich gibt es vier verschiedene Wege und Stufen der chirurgischen Anwendung der 3D-Technologie“ – Balázs Gasz stellt die Details vor. „Die erste besteht darin, ein virtuelles oder gedrucktes Modell zu erstellen, das die individuellen anatomischen Merkmale eines bestimmten Patienten zeigt und diese bei verschiedenen schwierigen chirurgischen Eingriffen wie der Entfernung eines Tumors an einer besonders empfindlichen Stelle verwendet.“ Dieses Modell kann auch bei Operationen sehr nützlich sein, denn im Operationssaal ermöglicht es Ärzten, versteckte Tumore an risikoreichen Stellen, zum Beispiel in der Nähe lebenswichtiger Organe oder Nervenbahnen, zu entfernen, ohne sich blind nur auf Wissen und Intuition zu verlassen.

Durch die zweite Anwendungsweise ist es möglich, Operationen zu üben oder zu individualisieren: Hier wird ein bestimmter Körperteil des Patienten, z. B. ein Teil des Skeletts, gedruckt und kann während der Testoperation individuell angepasst werden und die verschiedene orthopädische Prothesen platziert werden, dh. sie müssen bei einem für den Patienten besonders belastenden Eingriff nicht im Operationssaal dimensioniert werden. Die Vorteile sind eindeutig: Sowohl für den Patienten als auch für das Personal können wertvolle Minuten gespart werden, außerdem zählt man mit deutlich geringeren Risiko.

Im nächsten Schritt wird das im 3D-Druck hergestellte Implantat in den Operationssaal platziert. Dieses wird eher selten während einer Operation implantiert, da dort sehr strenge Materialqualitätsstandards erfordert sind, aber das gedruckte „künstliche“ Implantat kann auch auf andere Weise nützlich sein. „Ein gegebenes Implantat, ein künstliches Blutgefäß, ein Modell zum Knochenersatz kann für jeden Patienten aus seinem eigenen, akzeptierten und gebräuchlichen Material angepasst und dimensioniert werden. Hier erstellen wir eine externe, negative Schablone, anhand derer das vorgegebene Implantat entsprechend der geplanten Größe gestaltet werden kann. Um beispielsweise einen Knochendefekt zu ersetzen, verwenden wir Formen, mit denen sich aus Standard-Knochenzement ein individuelles Implantat für den Patienten formen lässt. Ebenso kann eine Probe in der Herzchirurgie oder Gefäßchirurgie verwendet werden, um zum Beispiel die Größe eines Gefäßpflasters auf eine benutzerdefinierte Form und Größe zuzuschneiden.“

Die kürzlich erfolgreich durchgeführte Trichter-Brustkorrektur in Pécs ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein maßgefertigtes Implantat im 3D-Druck hergestellt wurde auch implantiert wird. Der in Zusammenarbeit mit Thoraxchirurgen, 3D-Designern und Branchenakteuren erstellte chirurgische Eingriff dauert statt eineinhalb Stunden 45 Minuten, hat deutlich weniger Fehlerpotenzial und wird dank der reibungslosen Zusammenarbeit langsam zur gängigen Praxis im Klinikum in Pécs.

Simulierte Blutzirkulation, echte Herzoperation

Im vierten Modus hat das beim 3D-Design und -Druck entstandene Objekt bereits sozusagen eine physiologische Funktion, beispielsweise wird ein Teil des Gefäßsystems des Patienten gedruckt und darin die Durchblutung simuliert. Ein gutes Beispiel dafür ist die sogenannte ventrikuläre Rekonstruktionschirurgie, bei der durch einen Herzinfarkt abgestorbenes Herzmuskelgewebe durch „Patchen“ der Wand des erweiterten linken Ventrikels ersetzt werden muss.

Der primäre Risikofaktor während des Eingriffs besteht darin, dass das Herz zwischen aus dem Kreislauf genommen werden muss, was in jeder Minute gefährlich ist. Wenn die Chirurgen mit der Herstellung des Pflasters auf traditionelle Weise beginnen, nach Eröffnung des Brustkorbs fast nach der Faustregel oder anhand der früher gemachten CT-Bilder, kann es lange dauern und der Erfolg ist auch nicht garantiert, aber die Forscher und Entwickler in Pécs haben diese Zeit deutlich verkürzt, nachdem sie das Herz der Patienten während ihrer Funktion anhand verschiedener bildgebender Verfahren realistisch modelliert und die am besten funktionierende Patch-Form simulieren können. Daraus wird eine Schablone erstellt, die den Chirurgen vor der Operation zur Verfügung steht und die Zeit bis zum Ausschluss des Herzens aus dem Kreislauf deutlich verkürzt.

In Pécs wurden bisher drei erfolgreiche Operationen mit dieser Methode unter der Mitwirkung von Dr. László Lénárd und Dr. Örs Pintér durchgeführt, und in mehreren Fällen stellte sich während der Simulation heraus, dass die chirurgische Methode beim gegebenen Patienten nicht angewendet werden kann. All dies ist auch eine positive Entwicklung, weil es sie vor einer schwierigen und erfolglosen Operation bewahrt hat und der Patient danach eine erfolgreiche Herztransplantation hinter sich hat.

Ebenso ist das Ziel der Zusammenarbeit der Pécser Arbeitsgruppe mit HNO-Ärzten (Dr. László Lujber und seinen Kollegen) während der realistischen Modellierung der Organfunktionen und dadurch die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion bei der Trachealrekonstruktion. Besonders traurig ist das Thema aufgrund der hohen Zahl von Menschen, die aufgrund der Coronavirus-Epidemie dauerhaft beatmet wurden, bei denen besteht die Gefahr, dass ihr Trachealknorpel abfließt und daher restaurative Operationen erforderlich sind. Die Untersuchungen sind derzeit in der Tierversuchsphase.

Arzt-Ingenieur-Multicast

Die bisher erwähnten Beispiele zeigten es bereits, dass neben der immer verfügbarer werdenden Technologie ein multidisziplinärer Ansatz für den Erfolg unabdingbar ist. Wie Balázs Gasz sagt, müssen Ärzte, die zusammenarbeiten, ein bisschen wie Ingenieure denken, und Ingenieure müssen ein wenig wie Ärzte denken, und diese neue Herangehensweise und Arbeitsweise muss sich im Gesundheitswesen auf der Grundlage von Tradition und soliden Bedingungen durchsetzen. Dank seines besonderen Karrierewegs, und dank der Erfahrungen des Pécser Profis, der beide Bereiche sieht, steht die überwiegende Mehrheit der Ärzte die neuen Verfahren positiv gegenüber, die Operationen erleichtern und sogar das Leben von Patienten retten. Sämtliche Kooperationen beweisen es auch: Unter anderem in Pécs wurden neue Verfahren in den Bereichen Neurochirurgie, Thoraxchirurgie, Herzchirurgie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Orthopädie und Traumatologie entwickelt, aber auch in mehreren Landesteilen werden zunehmend Kooperationen organisiert. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Visionen führt zu gemeinsamem Denken und weiteren Ergebnissen.

Die nächste Phase der technologischen Entwicklung könnte die chirurgische Anwendung von Erweiterten Realität sein. In kürzet Zeit wird dem Chirurgen während der Operation die Kontrolle durch eine Erweiterten-Realität-Brille gegeben, die Endpunkte und typische Fehlermöglichkeiten skizziert. Erweiterte Realität und 3D-Technologie können als erfolgreiche Dokumentation von Eingriffen in der Ausbildung eine zunehmende Rolle spielen und als Lehr- und Übungsmaterial dienen. Eine weitere Fortbildungsmöglichkeit ist die Darstellung der erwarteten Ergebnisse und möglicher Fehler der von den Chirurgen durchgeführten Eingriffe unter Simulationsbedingungen, anhand derer die entscheidend wichtige Operationserfahrung deutlich gesteigert werden kann.

In der Zukunft werden Fachkräfte mit einem hybriden Interesse und Wissen - so wie Balázs Gasz und seine Kollegen - zunehmend benötigt, und das ist das Ziel der im September an der Universität Pécs beginnenden MSc-Ausbildung Biomedical Engineering. Und warum kann es sich für einen Mediziner lohnen, sich für technische Bereiche und für einen Ingenieur für Bereiche des Gesundheitswesens zu interessieren? Dr. Balázs Gasz meint, nur aus Entdeckerfreude. „Es gibt keine größere Erfahrung, als wenn wir als Ärzte alles verstehen, als Ingenieure Methoden dafür finden und dann eine gemeinsame Lösung finden können – und diese bieten dann immer mehr Chancen an.“

Der Artikel wurde auf der Webseite hvg.hu auch veröffentlicht.

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