Dr. István Merchenthaler: „ich genoss die Zeit des Medizinstudiums in Pécs”

23 September 2021

Dr. István Merchenthaler pflegte zuerst chirurgische Ambitionen, ist aber letztendlich Neuroendokrinologe geworden und seine Karriere führte von der Medizinischen Fakultät der Universität Pécs ganz bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Professore der Universität von Maryland unterhielt ich mich über seine Jahre an der POTE (damals Medizinische Universität Pécs genannt), über seinen abwechslungsreichen Lebensweg und über seinen Forschungsbereich, der die Behandlung der Symptome der Menopause reformieren könnte.

 

verfasst von Viktor Harta

 

- Sie haben unsere Fakultät zwischen 1968 und 1974 besucht. Was für Erinnerungen haben Sie über diese Periode von vor einem halben Jahrhundert an der POTE?

- Es waren erstaunlich tolle Jahre, ich genoss die Zeit, in Pécs Medizinstudent zu sein. Ich habe an fast allen Vorlesungen teilgenommen, egal wann sie begann. Man hat in jeder Minute etwas Neues gelernt, die Welt öffnete sich vor uns immer weiter. Ich hatte erstklassige Lehrer, deren Unterrichtsstunden amüsant waren und die die Studierende immer wieder ermutigt haben. Neben den Fachkenntnissen habe ich mir bei ihnen auch die Liebe für das Unterrichten angeeignet: neben der Forschung unterrichte auch ich selbst Anatomie, Histologie und Entwicklungslehre für Medizinstudenten, so wie auch einen Kurs mit dem Titel „Biology of Aging”.

- Gibt es bestimmte Lehrer, an die sie besonders gerne zurückblicken?

- Gibt es jemanden von meinen Jahren in Pécs, den ich als „erstklassigen Dozenten” bezeichnen würde, ist das Prof. György Romhányi. Seine Person und seine Vorlesungen waren sensationell gut und interessant, wir hatten weltklasse Vorlesungen bei ihm. Ich möchte noch die Professoren Béla Flerkó und Szilárd Donhoffer erwähnen, die hervorragende Vorlesungen gehalten haben. Ich habe keine von denen versäumt.

- Anfangs hatten Sie Ambitionen für die Chirurgie, doch später ist die Neuroendokrinologie ihr Fachgebiet geworden.

- Genau, ursprünglich wollte ich Chirurg werden. Als Medizinstudent bin ich aber auf das Institut für Anatomie aufmerksam geworden, wo eine hervorragende Gruppe für Neuroendokrinologie tätig war. Nach dem Rigorosum in zweiten Studienjahr kam ungefähr ein Jahr Arbeit als Techniker, und erst dann haben wir die Möglichkeit bekommen uns einer Arbeitsgruppe anzuschließen, um uns in der Wissenschaft mehr vertiefen zu können. Ich erinnere mich daran recht klar, als Professor Béla Flerkó mich zusammen mit einem Komilitonen ausgewählt hat, um die Arbeit des Chirurgen Professor István Rozsos zu unterstützen. Nachdem ich die nötigen mikrochirurgischen Methoden erlernt habe, haben wir fast zwei Jahre lang Tiere, in Bezug zu den Forschungen von Professor Rozsos operiert.

Diese Arbeit hat mich zu den Neuroendokrinologen näher gebracht und mich immer mehr dabei bestätigt, dass ich den Beruf des Chirurgen auf diesen Beruf tauschen würde. Ich geriet in eine andere Gruppe, die von dem aus Denver frisch zurückgekommenen Professor György Sétáló geleitet wurde. Damals hat er sich in den USA mit Immunzytochemie befasst, die damals ein sehr neue und mystische Bereich war. Ich habe mich darin ebenfalls vertieft und wir haben uns zusammen auf die Untersuchung der Nervenzellen fokusiert, die in der Regelung der Hypophyse eine Rolle spielen. Damit begann meine Karriere in der Neuroendokrinologie.

- Bald setzte sich ihre Karriere 7000 Km weiter entfernt, in den Vereinigten Staaten von Amerika fort. Wie kam es zu diesem Wechsel?

- In meinem Leben war die Kombination der richtigen Zeit und des richtigen Ortes maßgebend. Ich bekam eine Einladung von dem zellbiologischen und anatomischen Lehrstuhl der Universität von Nord-Karolina in Chapel Hill, wo ich in 1981. angekommen bin. Zu dieser Zeit wurden das Corticotropin-releasing-Hormon sowie das Growth Hormone Releasing Hormone (GHRH) entdeckt. Diese Entwicklungen übten auch auf meine Arbeit eine Wirkung aus.

Nach dem Ablaufen des ersten Jahres (laut den damaligen Regelungen hat man höchstens so viel Zeit im Ausland verbringen dürfen), habe ich mich um Verlängerung beworben. So habe ich ein zweites Jahr gewonnen. Dies machte mir möglich, meine Familie zu mir zu holen. Das zweite Jahr war auch erfolgreich, dank teils dieser oben genannten Entwicklungen. In der Zwischenzeit erhielt ich eine Einladung nach New Orleans auf die Universität Tulane, wodurch ich ein drittes Jahr bekam. Im Sommer 1984 sind wir zurück nach Ungarn gezogen. Die Jahre zwischen 1984 und 1988 habe ich im Institut für Anatomie der POTE verbracht, wobei ich jedes Jahr, 2-3 Sommermonate (als ich keine Unterrichtspflicht hatte) in den USA verbringen durfte.

1988 führte mein Weg wieder in die USA: Ich hatte die Gelegenheit im National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS) in Nord-Karolina zu forschen. Damals war meine Arbeit schon weniger deskriptiv. Einer der zentralen Fragen, die uns beschäftigt haben, war die Rolle der Kolokalisation (wenn verschiedene Neurotransmitter und Neuropeptide in derselben Nervenzelle vorhanden sind). Dies war damals ein Novum, viele haben sich auf die Kolokalisation und auf deren Mechanismus fokussiert. Ich selbst habe viel Zeit mit der Kolokalisation der Östrogendependenz von LHRH und Galanin verbracht.  

In der Zwischenzeit habe ich einen Kollegen, Zsolt Liposits von dem Anatomieinstitut der POTE zu mir eingeladen. Zsolt hat zwei mal sechs Monate in NIEHS verbracht. Unsere Zusammenarbeit war so erfolgreich, dass wir auf die Idee kamen, „ein kleines ungarisches Labor” zu errichten, das wir in Rotation von sechs Monaten mit Zsolt zusammen leiten würden.

NIEHS war ein guter Partner dabei. Sie haben ihre benutzte Instrumente, die gerade abgetauscht wurden uns angeboten, wir haben nur den Transport ins Anatomieinstitut der POTE finanzieren müssen. Die Antwort, die ich darauf von zu Hause bekam, war aber mehr als verblüffend: Sie sagten „nein, und du kommst jetzt zurück nach Hause”. Tagelang habe ich nicht geschlafen, nur überlegt, was ich tun sollte: bleiben oder nach Hause gehen. Nach einigen schlaflosen Nächten habe ich mich entschlossen in den USA zu bleiben, wobei ich daran vorher nie gedacht habe.

- Es war bestimmt nicht leicht, so eine Entscheidung zu erleben.

- Tatsächlich war das gar nicht leicht. All dies passierte in 1990 und sogar noch heute denke ich manchmal daran, und ich bereue es, andererseits sehe ich aber, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

Bei NIEHS hatte ich einen guten Platz. Mein Chef hat mich gemocht und er wollte mich mit einer festen Stelle befördern. Dies passierte 1993-94. In der Beförderungsprozedur stellte sich heraus, dass mit meinem Visum etwas nicht stimmt. Ich hatte ein H-1 Visum, das mich nicht berechtigt, eine feste Stelle in den USA zu besitzen. Die Modifizierung ist nicht einfach und laut einer der Bedingungen hätte ich für zwei Jahre nach Ungarn zurückkehren müssen. Wird die Stelle auch dann noch für mich offen stehen?

Ich hatte ziemlich unangenehme Wochen erlebt, ich wusste nicht, was zu tun. Dann kam mir wieder das „in der richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein” – Faktor zur Hilfe. Mein Chef wurde mit der Gründung eines neuen Institutes in einem Pharmazieforschungs-Institut beauftragt. Er hat mir angeboten ihm zu folgen und ich habe ja gesagt. Ich habe eine Direktor-Stelle im Women’s Health Research Institute (damals noch Teil von Wyeth) bekommen. Nach wenigen Monaten erhielt ich auch die Green Card und die Frage um meinen Aufenthalt in den USA hat sich gelöst.

Das Institut in sich war fantastisch, wunderschön und super modern, mit erstaunlichen finanziellen Möglichkeiten. Das Premarin für die Linderung der Symptome der Menopause wurde hier entwickelt. Es hat einen riesen Gewinn erbracht, wobei die Entwicklung einer bestimmten Hormontherapie, die keine Nebenwirkungen, wie die Östrogene im Premarin haben, war nötig. Ein wissenschaftlicher Durchbruch kam wieder zu dem richtigen Zeitpunkt: ERβ wurde entdeckt und wir begannen mit einer recht erfolgreichen Forschung, die mehrere Jahre lang dauerte. Die Lokalisation von ERβ im zentralen Nervensystem deutete darauf, dass ein ERβ-spezifisches Molekül helfen könnte, die Nebenwirkungen vom Östrogen zu vermeiden. 

Bis 2002 lief im Institut alles sehr gut, bis eine Studie mit mehreren zehn Tausend Frauen erschien, laut dem das Östrogen viele Gefahren in sich trägt, kann unter anderem die Risiken von Gebärmutterkrebs und Brustkrebs erhöhen und kann sogar Thrombose auslösen. Die Ärzte zögerten Premarin zu verschreiben und die Frauen sie zu nehmen, obwohl sie es nötig hätten, die Symptome der Menopause – Hitzewellen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen – zu lindern.  

Es gab ein großes Chaos und auch Wyeth hat die Folgen getragen. Mir war es bewusst, ich habe keine Zukunft bei Wyeth. Nachdem ich dort zehn Jahre gearbeitet habe, habe ich in Rente gehen können. Während der Zeit meiner Pensionierung habe ich den Kontakt zur Universität in Maryland aufgenommen und mir wurde eine Professorenstelle angeboten. Ich habe es angenommen und auch zur Zeit arbeite ich hier als Professor des Lehrstuhls für Sanitätswesen und des Lehrstuhls für Anatomie und Neurobiologie.

Ich war vielleicht seit einem Jahr in meiner neuen Position, als ein Kollege aus Texas an einem Seminar über sogenannte „non-feminizing” Östrogene erzählte: Östrogene, die das Uterus und die Brust nicht schädigen. In seinem Vortrag erwähnte er, dass ein ungarischer Chemiker, der gerade in sein Labor kam, ein Gehirn-spezfischens Östrogen entdeckt hat.

Das war für mich eine grandiose Nachricht. Als ich bei Wyeth gearbeitet habe, habe ich regelmäßig betont, dass ich ein Gehirn-spezifisches Östrogen finden möchte und ich war davon fest überzeugt, dass diesen Durchbruch nur Chemiker erreichen können.  Es war selbstverständlich, dass diese Informationen mich höchst aufgeregt haben. Traum nur weiter – bekam ich die Antwort – es ist unmöglich dies zu erreichen. Es war also selbstverständlich, dass mich erregt hat, was ich gehört habe. Ich habe nach dem Namen des ungarischen Chemikers gefragt: László Prókai.

Ich ging sofort in mein Büro und rief den Landsmann-Kollegen an. Als er an das Telefon ging, habe ich nur Folgendes gesagt: „Laci, ich bin István Merchenthaler, ich bin auch Ungar. Und du hast gewonnen”. Seine Entdeckung war von enormer Bedeutung: Während der Untersuchung vom Östrogen hat er eine Komponente gefunden, die auf die Einwirkung eines bestimmten Enzyms sich ins Östrogen verwandelt. Im Grunde genommen hat er ein Pro-Östrogen-Molekül gefunden, das das Organismus (aber nur das Gehirn) zum Östrogen verwandelt. Das Wesen der Methode besteht darin, dass die weiblichen Hormone nur dann in das Gehirn geleitet werden können, wenn sie durch den Damm Gehirn-Blut durchdringend sich in Östrogen konvertieren, und dabei die Peripherie nicht schädigt, da diese Konvertierung dort nicht stattfindet.

Wir haben uns mit Laci mit großem Engagement, mit zahlreichen Experimenten und mit wertvollen Publikationen an die Arbeit gemacht. In den letzten zehn Jahren haben wir uns in erster Linie mit diesem Molekül beschäftigt. Das Wesen unserer Forschung ist, durch Tiermodelle zu belegen, dass dieses Pro-Östrogen als auch Medikament angewendet werden kann (Östrogentherapie), das wirkungsvoll in der Behandlung der menopausalen Depression, der Schlafstörungen und Hitzeschwelle ist, kann den Verfall des Gedächtnisses hemmen oder sogar stoppen und zur gleichen Zeit keine gefährlichen Nebenwirkungen auf die Brust und auf das Uterus haben.

Ich denke, dass wir, Forscher, die sich mit der Grundwissenschaft befassen, fast den Gipfel erreicht haben. Die Arbeit, die noch bleibt, ist die Entwicklung des Medikamentes. Wenn dies auch erfolgt, gehe ich tatsächlich in die Rente (er lächelt).

- Sie haben einen recht großen beruflichen Werdegang gehabt, der auch über Kontinente geht. Haben Sie noch welche Kontakte aus der alten Studienzeit in Pécs?

- Als ich das erste Mal aus Amerika zurückgekehrt bin, ist András Büki (Prof. Dr. András Büki, Direktor des Nervenchirurgischen Institutes der Universität Pécs, Medizinische Fakultät) mein Student geworden. Er ist ein guter Freund von mir, mit ihm habe ich bis heute einen Kontakt. Lange haben wir den Kontakt mit Zsolt Liposits gepflegt, der mit mir in den USA war. Mit anderen alten Kollegen aus Pécs habe ich höchstens ab und zu einen E-Mail-Wechsel.

- Wie beurteilen Sie das Wissen, das Sie sich an der Medizinischen Fakultät in Pécs erworben haben?

- Ich beurteile es höchst positiv. Meine ganze neuroendokrinologische Denkweise hat sich an POTE ausgebildet. Es war so beeindruckend, dass ich kein praktizierender Arzt, sondern Forscher geworden bin. Daneben war das Anatomieinstitut eine fantastische Institution. Es war familiär, wir haben einander unterstützt, wir genossen, die Zeit dort zu verbringen und haben viele positive Bestätigungen bekommen. Ich werde Professor Flerkó nie vergessen, der auch abends um sieben Zeit gefunden hat zu mir zu kommen und zu fragen: „Na, Pista, was hast du gemacht?” Er schaute in mein Mikroskop und als er den Schnitt, den Anstrich gesehen hat, sagte er: „wunderschön, fantastisch”. Was anderes braucht ein Jugendlicher als Motivation?

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